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Blaubart-Wolken werfen blutige Schatten nach witzigem Erbstreit

Geschrieben von Alexander Hildebrand am .
Foto © Monika Rittershaus

Der Abend startet witzig und endet blutig. Ein Aufführung mit der seltenen Kombination von Gianni Schicchi von Giacomo Puccini und Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók beginnt mit dunkler Bühne und einem hellen Piepsen im Rhythmus des Herzschlags. Eine grünliche EKG-Linie hüpft mit dem Puls, um dann zu verstummen.

Der Abend startet witzig und endet blutig. Ein Aufführung mit der seltenen Kombination von Gianni Schicchi von Giacomo Puccini und Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók beginnt mit dunkler Bühne und einem hellen Piepsen im Rhythmus des Herzschlags. Eine grünliche EKG-Linie hüpft mit dem Puls, um dann zu verstummen.

Beendet ist das Leben des reichen Buoso Donati. Die lieben Verwandten stehen bereit, um das Erbe klar zu machen. Das gefundene Testament entspricht aber nicht den Erwartungen der gierigen Geister. Erst muss der listige Titelheld einen neuen letzten Willen erfinden, sichert sich dadurch aber das gesamte Hab und Gut.

Die unten stehenden Fotos zeigen, wie originell und frisch der italienische Einakter inszeniert ist. Ein nur vier Meter tiefes Zimmer, dass die ganze Bühnenbreite einnimmt, ist der lebhafte Schauplatz. Die Regie von Calixto Bieito setzt das Stück im Jetzt an und findet selbst für die ältesten Klischees ein neues Gewandt. Lauretta ist ein dümmliches Schulmädchen (stark im berühmten, schmalzigen „O mio babbino caro“: Kim-Lillian Strebel) mit geflochtenen Zöpfen und lila Hotpants. Gherardo trainiert für den Giro d’Italia (fit: Christoph Späth) und Rinuccio läuft in Trainingshose und Kunstleder zu orgiastischen und tenoralen Höchstleistungen auf (gewitzt: Tansel Akzeybek).

 

Bildergalerie Gianni Schicchi (Fotos © Monika Rittershaus)


Bieito fügt wie erwartet ein überzogenes, sexuell verirrtes Verhalten der Opernfiguren ein. Das provoziert im Jahre 2015 kaum noch, löst manchmal Gekicher aus, überrascht aber kaum. Es stört sogar die stringente Erzählweise und lenkt von der interessanten Szene und der schönen Musik ab. Die Inszenierung und das starke, filmisch konzipierte Geschehen im ockerfarbenen Raum hätten auch ohne Gummipuppe, Kopulationen und nackte Herrenhintern Witz und intellektuelle Tiefe.

Nach rund einer Stunde ist Schluss mit dem Erbstreit. Es würde ein dichter Abend werden, war schon aus der Ankündigung „Dauer des Stücks: 2 Stunden, keine Pause“ zu entnehmen. Vom Schicchi zum Blaubart ohne Unterbrechung, da musste eine gute Idee her!

Beim Übergang von Oper eins zu Oper zwei spielt das Regieteam seine Stärken aus. Sehr überraschend betreten Gidon Saks als Herzog Blaubart und Ausrine Stundyte als Judith die aufgemöbelte Schicchi-Szene und machen es zu Blaubarts Burg. Anschließend drittelt sich der Zimmerkasten (Bühne: Rebecca Ringst) und durchgehend im zweiten Stück bilden diese getrennten, meterhohen Wände und weitere Bühnenkästen mit Fassaden, Zimmern und einer Toiletten eine optisch ansprechende, sich drehende Kulisse für das aufwühlende Zweimannstück des Ungarn Béla Bartók. Die rotierende Drehbühne im Gegenlicht, das sieht jeder gern.

Mit heldenhaftem Bass-Bariton spielt Gidon Saks einen unheimlichen Blaubart. Die litauische Sopranistin Ausrine Stundyte ist als Judith eine ergreifende Sängerdarstellerin. Im Alltag würde man die beiden als „schönes Paar“ bezeichnen, aber die optische Anmut ist nur von kurzer Dauer. Judith dringt in die Seele des bärtigen Herzogs ein und verwechselt ihre Liebe mit dem Wunsch nach bedingungsloser Offenheit. Das geht schief. Sie fördert die dunkelsten Seiten des Burgbewohners hervor, der ein folternder und mordender Held ist. Die starken Bilder gehen unter die Haut und werfen wie im ersten Teil begonnen weitere Fragen über menschliches Desaster auf. Selbst der Himmel zieht zu: „Ach, der Wolke blutiger Schatten!“ (Judith zu Blaubart).

Bildergalerie Herzog Blaubarts Burg (Fotos © Monika Rittershaus)


Allerdings ist Blut auf der Bühne seit Heiner Müllers Hamletmaschine Ende der Siebziger Jahre so gar kein Aufreger mehr. Außerdem hätte der Toiletten-Showdown zwischen Judith und Blaubart genauso gut in einer glänzenden Werkstatt oder in einem abgewrackten Salon anstatt auf einer Herrentoilette spielen können. Ein dramatisches Finale wollen wir hören, aber eine WC-Szene nicht sehen.

Das Orchester der Komischen Oper steht bei diesen Stücken etwas im Hintergrund, nutzt aber unter der markanten Leitung des Generalmusikdirektors jede Gelegenheit, der starken Szene einen zusätzlichen Impuls zu geben.

Gianni Schicchi | Herzog Blaubarts Burg

Zwei Einakter [aus dem Jahre 1918], ohne Pause gespielt
Libretto von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus La Divina Commedia von Dante Alighieri [Gianni Schicchi]
Dichtung von Béla Balázs [Herzog Blaubarts Burg]
  • Musikalische Leitung: Henrik Nánási
  • Inszenierung: Calixto Bieito
  • Bühnenbild: Rebecca Ringst
  • Kostüme: Ingo Krügler
  • Dramaturgie: Pavel B. Jiracek
  • Licht: Franck Evin

Die Sängerinnen und Sänger der beiden Opern am Premierenabend

  • Gianni Schicchi: Günter Papendell
  • Lauretta, Seine Tochter: Kim-Lillian Strebel
  • Zita, Buosos Cousine: Christiane Oertel
  • Rinuccio, Zitas Neffe: Tansel Akzeybek
  • Gherardo, Neffe Des Buoso: Christoph Späth
  • Nella, Seine Frau: Mirka Wagner
  • Betto Di Signa, Buosos Schwager: Stefan Sevenich
  • Simone, Buosos Cousin: Jens Larsen
  • Marco, sein Sohn: Nikola Ivanov
  • Ciesca, Marcos Frau: Annelie Sophie Müller
  • Maestro Spinelloccio, Arzt: Bruno Balmelli
  • Amantio Di Nicolao, Notar: Philipp Meierhöfer

 

  • Herzog Blaubart: Gidon Saks
  • Judith: Ausrine Stundyte

 

Von opernfan.de besuchte Premiere:

Sonntag, 1. März 2015, 19:00 Uhr

Weitere Aufführungen entnehmen Sie bitte der Website der Komischen Oper Berlin

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